Hybrid […]

Hybrid
4 Zeichnungen auf Plakatwänden (Prints)
á 130 x 270 cm

im Rahmen des Projektes FELIX
Bern / Köniz (CH)
2017

http://felix-project.ch/

Ironie des Faktischen
Zur Serie Hybrid von Klaus Walter

Es könnte sein, dass das, was scheint, auch so ist. Oder: dass das, was ist, nur so scheint. Die beiden Sätze zielen auf eine Ironie des Faktischen, wobei „Ironie“ im ursprünglichen Wortsinn zuerst einmal „Vortäuschung“ bedeutet; hinzu kommt die romantische Ironie, die darin besteht, dass das Kunstwerk sich in sich selbst reflektiert und das eben auch merkbar macht. Beides ist bei den vier Felix-Bildern von Klaus Walter (* 1964 in Glauchau/Sachsen). Wer auf diese Bilder schaut, sieht Bekanntes und kann, sich umblickend, dieses Bekannte – neue Gebäude in der Umgebung der Vidmarhallen, den Grenzbach zwischen den Gemeinden Bern und Köniz – auch gleich verifizieren. Bald aber schleicht sich Irritation ein. Der Blick zurück auf Walters Bilder zeigt Fremdes inmitten des Bekannten, Gebäude, die hier gar nicht stehen, nicht stehen können, selbst wenn die Bilder das überzeugend suggerieren. Die Bilder oder vielmehr ihre Ästhetik und Technik helfen auf die Spur. Da sind auf den eindeutig als fotografische Vorlagen identifizierbaren Blättern Verwischungen, da sind Striche von Blei- oder Farbstiften. Das sind also keine Abbilder des Ortes. Es sind neu komponierte städtische Orte und Räume.

Die drei Hochhäuser auf einem der vier Bilder: eindeutig Hochhäuser in Bern. Ein anderes Hochhaus jedoch ist hier, am Standort des langjährigen Kunstprojekts Felix von Alain Jenzer, nirgends zu sichten – schliesslich steht es, das kann man nicht wissen, im Osten Berlins, auf dem Gebiet der ehemaligen Hauptstadt der DDR (Walter hat die DDR hautnah erlebt). So überwindet der Künstler Grenzen, Grenzen der Orte und der Zeiten. Er versetzt montageartig Gebäude aus Ostberlin und anderen Orten Ostdeutschlands nach Bern und Köniz: den Wald von Fahnenmasten vor dem Eingangsbereich des ehemaligen Stasi-Hauptgebäudes, ein gross angelegtes, abgewracktes Sporthotel ebenso wie die mit einer ornamentalen Betonwand verzierte Polizeizentrale von Walters Heimatstadt Zwickau. Andernorts tauchen Monumente auf, und das in der Schweiz, wo die Tradition des Denkmals seit Jahren abgebrochen ist. Diese Elemente wiederum stammen aus Ex-Jugoslawien. In beiden Fällen: sozialistische Architektur in der kapitalistischen Schweiz, und zwar ironischerweise an einem Ort, dessen längstes, markantestes Gebäude an der Hardeggerstrasse steht und damit ebenfalls an sozialistische Ideen erinnert, freilich nicht an kleinbürgerlich-preussisch-stalinistische wie jene der DDR, sondern an Margarethe Hardegger (1882-1963), Syndikalistin, Frauenrechtlerin, Begründerin einer utopischen, schliesslich gescheiterten Kommune im Tessin.

Inhaltlich und architekturhistorisch verweist Klaus Walter mit seinen neuen Stadträumen auf eine Kontinuität, die selten wahrgenommen wird: auf das parallele Fortleben der Moderne in Ost und West. Dazu gehören auch die Plattenbauten, die das Klischee-Bewusstsein nur im sozialistischen Osten verortet, dabei geflissentlich negierend, dass manche Siedlung in Bern-West, also in Bümpliz und Bethlehem, ebenfalls als Plattenbauten konstruiert ist.

Ästhetisch steht Klaus Walter in der Tradition der Montage, also der Neukombination und –komposition der Wirklichkeit. Er hat die Montagetechnik jedoch durch die Verbindung von Fotografie und Zeichnung verfeinert, nicht im Sinne des Illusionismus, eher im Sinn der raffinierten Irritation, die sich aus dem „Einbau“ von Bauten in eine völlig neue Umgebung, aus dem feinen hybriden Charakter der Bilder ergibt. Wie Walter selbst sagt, sieht er diese Zeichnungsarbeiten in der Nachfolge klassischer Architekturansichten, von Veduten wie jene eines Giovanni Battista Piranesi (1720-1778), der ja auch Repräsentationsbauten wiedergab, diese teils perspektivisch überhöhte und dabei eine wirksame Ästhetik der (antiken) Ruine formulierte. Walters Gebäude aus dem Osten gelten zu Recht teils inzwischen als Baudenkmäler, in jedem Falle sind es Reste einer jüngst vergangenen Zeit, die ihre Prägungen hinterlassen hat und die in der Architektur noch weiterrottet. Und nun unvermittelt in Bern-Köniz auftaucht.

Konrad Tobler